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Dem eigenen Leben einen Sinn geben

Autorenbild: Derviş DündarDerviş Dündar

Jeden Tag an sich selbst zu scheitern ist eine hohe Kunst.

Keine Zeit sich mit sich selbst zu beschäftigen muss auch erstmal hinbekommen werden.

Das alltägliche Leben und die damit verbundenen Verbindlichkeiten und Verantwortlichkeiten rauben einem*r den Verstand.

Und mit Verstand meine ich nicht den „gesunden Menschenverstand“, sondern die Gedankenwelt des Kreativen.

Die Energie, sich Gedanken über sich selbst und andere zu machen.

Der Raub des Verstandes ist nichts Bewusstes, nichts Aktives, nichts Offensichtliches.

Es passiert einfach so und man bekommt es nicht einmal mit.

Als gäbe es keine andere Möglichkeit wie das eigene Leben verlaufen könnte.

Es läuft wie es läuft und alles andere ist Quark.

Normale Menschen nennen es Routine.


Ich nenne es Qual der Nichtwahl.

Die Totalität des Alltags.


Eigentlich ist unser Leben gut.

Gut, aber nicht besonders.

Natürlich möchte jede und jeder etwas Besonderes sein.

Jemand Besonderes.

Ich zum Beispiel möchte eine bekannte Persönlichkeit sein.

Einer der Wenigen.

Einer, der gefragt ist und wird.

Einer, der bei Markus Lanz sitzt und von der Seite komisch angemacht wird.

Aber ich bin einfach nur irgendwer.

Ein Wesen unter den Vielen.

Eine bedeutungslose Existenz im großen Ganzen, welches ich gerne zerstören wollen würde.

Aber für die Vernichtung des Normalen bin ich zu machtlos.

Ich schaffe es nicht einmal mein eigenes Leben zu kontrollieren.

Wie sollte ich so das Ganze umstürzen können?

Außerdem darf man das nicht.


Umso wichtiger scheint es mir, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben.

Es kommt schließlich Niemand auf eine*n zu und verleiht dem eigenen Leben einen Sinn.

Auch wenn viele Menschen unter den Vielen der Ansicht sind, dass ihnen Jemand oder Etwas einen Sinn verleiht.

Ein Sinn kann nicht einfach so verliehen werden, man kann ihn sich nicht erarbeiten und erst recht nicht danach streben.

Keine Arbeit auf dieser Welt, kein selbst gewähltes Hobby und auch keine Leidenschaft kann Sinn erschaffen.

Der Sinn kommt schließlich nicht von Außen.


Was tun all diese Menschen, wenn der Jemand oder das Etwas verschwindet oder genommen wird?

Versinken sie in der Sinnlosigkeit ihres Lebens?

Ich vermute, dass die Vielen unter den Vielen über ihr Schicksal Bescheid wissen.

In ihrem tiefsten Inneren ist die Sinn- und Bedeutungslosigkeit verankert und keine oder keiner kann reinen Gewissens die Frage aller Fragen verneinen: ist dein Leben sinnlos?


Die Antwort auf diese Frage lautet stets ja.

Denn das Fundament dieser Sinnentleerung unseres Lebens wird in den frühen Kindheitstagen gelegt: jedes Kind erfährt am eigenen Leib wie sinnlos das Leben ist.

Qua Geburt.

Was tun nämlich kleine Kinder, man könnte schon fast vom Säugling sprechen, wenn die eigenen Eltern nicht da sind?

Sie weinen.

Was anderes kommt nicht in Frage, weil was sollten Sie auch anderes tun, wenn die Angst alles andere überdeckt?

Ihre Hilflosigkeit, Bedürftigkeit und, auch wenn es hart klingt, Nutzlosigkeit macht ihnen bewusst, wie sinnlos sie sind.

Die einzige Sinnhaftigkeit erfahren Kinder durch ihre Bedeutsamkeit für ihre Eltern.


In den finanziell ärmeren Haushalten, in denen die Eltern für ihr Geld arbeiten gehen müssen, ist diese Sinnlosigkeit besonders wahrnehmbar: die Eltern gehen arbeiten und die Kinder müssen beschäftigt werden oder müssen sich mit irgendwas beschäftigen.

Oder mit irgendwem.

Eltern, die nicht arbeiten gehen, können ihrem eigenen Kind nicht einmal eine scheinbare Sinnhaftigkeit vorspielen.

Dem Kind wird die Sinnentleerung vorgelebt.

Wenigstens Ehrlichkeit.


Alle anderen lügen sich und allen anderen etwas vor.

Besonders oft werden Kinder angelogen.

Die größte Lüge die wir unseren Kindern, aber nicht nur ihnen, erzählen, ist die Lüge der Liebe: ein Konstrukt der „modernen“ Gesellschaften, um den Vielen das Gefühl von Bedeutsamkeit zu geben.

Auch den Vielen, die nicht arbeiten gehen (müssen, dürfen, können, wollen).

Arbeit und Liebe sind vom Grundsatz ein und dieselben Konstrukte: dem und der Einzelnen wird suggeriert, das es gebraucht wird.

Es geht dabei auch oft um Leistung und Zeit und Aufopferung usw.

Aber im Prinzip ist man immer austauschbar.

Und am Ende fällt man sowieso tot um.

Oder man fällt so halb tot um.


Die armen Kinder können einem wirklich und wahrhaftig leid tun.

Ständig wird ihnen das Gefühl gegeben, dass sie wichtig sind und sie geliebt werden.

Aber auch hier gilt: im Prinzip sind alle Eltern froh, wenn ihr Kind selbständig wird.

Oder warum ist die eigene Arbeit mehr wert als das eigene Kind?

Totschlagargument Nummer eins: das Geld.

Anders gefragt: warum ist Geld mehr wert als das eigene Kind?


Das Kind steht irgendwann selbständig auf zwei Beinen.

Auf sich selbst gestellt und muss Anschluss finden.

Irgendwie.

Bei irgendwem.

Oder irgendwas.

Und dann entwickelt das Kind eine Meinung.

Die eine früher, der andere später.

Seien wir ehrlich: einige auch nie.


Und dann haben fast alle zu allem eine Meinung, weil man Anschluss sucht.

Und dann wird alles, was vorher nicht wichtig erschien, so wichtig.

Und wenn man stirbt oder auf dem Weg in den Tod ist, wird all das wieder unwichtig.

Wir sind eigentlich immer auf dem Weg in den Tod.

Die Conclusio aus alldem lautet: alles egal.


Ob Politik, Arbeit, Hobbys, Essen, Trinken, Körper oder was auch immer: alles egal.


Plötzlich wird alles leichter und man kann viel einfacher, aus dem eigenen Inneren, dem eigenen Leben einen Sinn geben.


Was auch immer das sein soll.


Und am Ende denke ich mir dann doch: hätte ich bloß mal Yoga gemacht.

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