Eigentlich hatte der Autor dieses Textes die Hoffnung, dass die nachfolgenden Zeilen ohne Eigenleistung entstehen könnten.
Doch der Autor des Textes hat sich geirrt und sitzt nun, mit allen Lasten, die er zu tragen hat, vor einem Heft und denkt nach. Denkt nach. Denkt nach.
Und kommt zu keinem richtigen Ergebnis, weil es so kalt im Zimmer ist. Nicht nur im Zimmer, sondern auch draußen und in der Bahn. Und in der Hochschule. Eigentlich überall.
Und alle reden auch noch darüber, anstatt über die Kälte an der Grenze Europas zu Weißrussland. Und unserer Kälte im Herzen, wenn wir still all dies hinnehmen. Und dabei auch noch Afghanistan vergessen.
Ach Mensch, wir haben unsere Grenzen und wir wissen es und ruhen uns aus auf diesem Wissen, denn wer ist heutzutage schon moralisch rein.
In einer globalisierten Welt, so behaupten manche, kommen alle Menschen mit Flecken auf der Kleidung zur Welt. Selbst die Kleidung unserer Kinder haben Blut anderer Kinder an sich. Eine schöne Ausrede, die wir beibehalten sollten.
Stellen Sie sich mal vor wir würden plötzlich moralisch Handeln, Ungerechtigkeit abschaffen und helfen, wo es notwendig ist. Keine:r wäre mehr bei der Arbeit oder im Kino oder im Theater oder Zuhause oder in der Bahn oder im Stau oder was weiß ich.
Moralisches Handeln sollte es nur geben, wenn das Eigeninteresse das leitende Motiv ist. Beispielsweise sollten wir nur bremsen, wenn es unser eigenes Leben schützt. Oder wir sollten uns nur impfen lassen, wenn wir keinerlei Nebenwirkungen haben und unser Leben zu Einhundert Prozent geschützt wird. Eigeninteresse ist gut. Eigeninteresse schützt mein Leben. Merkt ihr wie kalt es wird bei diesen Gedanken?
Egal, wen interessiert das schon. Der Winter naht und wir haben ein neues Gesprächsthema.
„Der Winter hält Einzug in mein Leben, denn es ist November. Wobei ich behaupten würde, dass das menschliche Leben mehr als einen Winter kennt.“, sagt eine und trifft auf fragende Gesichter.
Wobei fragend noch viel zu gutmütig ist.
Sie sind vielmehr ahnungslos ihrer Dummheit wegen.
Ich hingegen bin intelligent und scheine zu wissen, wovon unsere Zeitgenossin sprach, denn sie sprach vom Winter in ihrer Seele und allen Wintern, die es so zu scheinen gibt.
Interpretationssache eben, man muss das Interpretieren nur wollen.
Die Jahreszeit ist bei der Interpretation nur das Offensichtlichste.
Allgemein sprechen wir Menschen auch vom Winter der Gefühle: der Gefühlskälte.
Oder den eisigen Herzen, die so manch eine von uns in sich trägt, weil sie auf so viel Unverständnis in ihrem Leben getroffen ist.
Oder der Eiszeit zwischen uns, wenn wir mal Ärger miteinander haben.
Dies alles ist jedoch so negativ und lässt all die schönen Seiten des Winters außer Acht, mit denen wir uns warme Gedanken machen könnten.
Reiche Menschen sind hierbei ausgenommen, denn ihr habt funktionierende Heizungen und Kamine. Da sitzt ihr sehr nah dran, was in mir andere Gedanken anstößt. Anstoßen. Stoßen. Habe ich nur gedacht, aber nicht gemacht. Machen. Anderes Thema.
Wo war ich? Gefühlskälte und eisige Herzen, stimmt.
Der Winter naht und wir sollten uns aneinander kuscheln und #GameOfThrones gucken, denn die Stadt ist kalt, so kalt wie der Winter.
In der Stadt ist immer Winter.
Des Nachts. Im Winter. Brennen in der Stadt überall Lichter, die für Wärme sorgen sollen, doch nur die Kälte sichtbar machen und die Wärme in den Schatten setzen.
Lasst uns gemeinsam durch die Stadt gehen und in die Gesichter der Menschen blicken: ich sehe Leere und Armut. Ich sehe Gefühlsarmut. Und Kälte. Ganz viel Kälte.
Um diese Kälte auszufüllen und irgendwie damit klarzukommen, melden sich einige komische Gestalten auf Erotik-Plattformen an.
Meldet Euch niemals auf Erotik-Plattformen an, wie Tinder.
Ja, Tinder ist eine Erotik-Plattform. Was denn sonst?
Vermeidet einen Account auf GuteFrage.net oder Ebay-Kleinanzeigen.
Fitnessapps und Instagram solltet ihr nicht aufsuchen.
Schließt keine Verträge: weder Arbeitsverträge noch mit Eurer Bank.
Seid Euch darüber im Klaren, dass Kaufverträge teuer sind.
Holt Euch kein Auto und fangt niemals an Bücher zu kaufen.
Lasst Euch nicht konfirmieren.
Versichert Euch nicht.
Geht nicht zur Schule oder Universität.
Warum ich das alles schreibe? – Nicht weil es wie aus der Bibel klingt.
Sondern: all dies habe ich getan und gebracht hat es mir nichts.
Außer Verlustangst. Und Kosten, die versteckt sind.
Wie kommt die Kälte in uns sonst zustande?
Ich denke, dass viele Menschen verlernt haben die naturgegebene oder gottgegebene oder politisch erkämpfte Freiheit zu genießen und versuchen ihr Leben auf Bahnen zu lenken, die es nicht gibt und niemals geben wird.
Im Wesentlichen tun wir all dies, weil wir irgendwann damit anfangen.
Deshalb ist es wichtig anzuerkennen, dass es niemals besser wird. Oder war.
Es ist so kalt und wird auch nicht mehr wärmer.
Der Sommer ist sowieso zu kurz und sein Ende bringt für viele die Angst mit sich, dass die lange Dunkelheit des Winters niemals enden wird. Obwohl wir doch schon so unfassbar viel für den Klimawandel tun.
Auch die Angst wird niemals verschwinden, weil sie eben nichts ist, was im Außen liegt.
Im Außen liegt der Kapitalismus. Und meine Wäsche, aber das ist gerade, so wie immer, egal. Weil Wäsche immer da ist. Wie der Kapitalismus.
Da können wir noch so viele Revolutionen starten.
Viele? Meinem Empfinden nach gab es keine einzige. In Deutschland. Hier herrscht der Winter.
Revolutionen sind heiß und das deutsche Etwas hat Angst sich die Finger zu verbrennen. Oder Bücher, wie es einst getan wurde. Gut, dass das deutsche Etwas nichts will außer Auto und Bier. Und Tatort und Fußball.
Nein, nein. Der Kapitalismus bleibt für immer. Dafür ist dieses System viel zu klug.
Ich meine: auf den Gedanken muss man erstmal kommen.
Plattformen zu öffnen, auf denen sich Menschen Sex kaufen können oder zumindest die Potenzialität auf Sex. Mit Menschen, die sie in ihrem Leben nie gesehen haben.
Und dann die große Liebe zu finden, aufgrund des Premium-Accounts für zehn Euro im Monat und später die Apps zu downloaden, die damit werben, dass sexuelle Affären einfach und diskret möglich sind.
Und der eigenen Partnerin oder dem eigenen Partner fremdzugehen oder zumindest die Potenzialität darauf zu haben. Für vierzig Euro im Monat.
Und sich dann zu trennen, weil die große Liebe eine herbe Enttäuschung war.
Kalt, ganz kalt. Beinahe schon winterlich im Kapitalismus. Es herrscht Winter im Kapitalismus.
Machen wir das Problem nicht kleiner als es ist.
Anderes Beispiel.
Private Rentenversicherungen. Ganz ehrlich?
Das waren mal unsere Kinder.
Heutzutage haben wir dafür einen persönlichen Ansprechpartner, der für seine Beratung Provision erhält. Ganz ehrlich?
Fast immer nur Männer. Noch nie einen Menschen getroffen, der oder die eine Versicherungsberaterin hatte.
Egal. Das Patriarchat hat gesiegt. Auch egal. Wie Weißrussland und Afghanistan. Und alles andere.
Immer kälter.
Unsere Kinder wollen wir nicht mehr. Wir wollen Reisen, Arbeiten, Urlaub, Karriere, Geld und Sicherheit.
Alles scheinbar nicht vereinbar mit Kindern, die in Zukunft unsere Rente erarbeiten müssten.
Wobei weniger Kinder auch seine Vorteile hat, denn Kinder und die Zeugung von Kindern zerstören unseren Planeten. CO2-Ausstoß und so weiter. Ihr wisst es, genau wie ich.
Kinder werden auch irgendwann Menschen und werden Arbeitsverträge und Versicherungen und Bankkonten und Verträge mit Erotikplattformen und Ehen abschließen.
Geniales Konzept dieser Kapitalismus.
Egal wie wir es machen: wir machen es falsch.
Und der Winter naht.
Deswegen werden wir auch niemals gänzlich glücklich, denn unser Streben nach Glück (nein, ich meine nicht den Film) führt dazu, dass wir im Inneren immer weniger sind und im Außen immer mehr haben wollen und nicht erreichen werden. Wir waren früher auch nicht glücklicher, auch wenn es besser war. Auch wenn wir Kinder hatten. Aber da hatten wir Kinder und Familie und Verwandte, die ein Netz um uns bildeten, welches uns auffing, wenn es uns schlecht ging.
Der konservative Gedanke hat gesiegt.
Statt Kindern haben wir nun private Rentenversicherungen. Der Unterschied ist kein Unterschied, denn während die eine Unfreiheit physischer Natur ist, ist jene andere psychischer.
Ich frage Euch: wo ist der Unterschied?
In Hannover an der Leine sind es 1 Grad Celsius und ich frage mich nicht, wo der Unterschied liegt, sondern wie viele Menschen in Weißrussland noch erfrieren müssen. Wie viele Menschen in Afghanistan noch verschwinden müssen. Wie viele Menschen in Deutschland erfrieren müssen.
Es ist kalt und dunkel und der Winter naht.
foto by @gaellemarcel
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