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  • AutorenbildDerviş Dündar

Für das Leben und gegen den Tod

Aktualisiert: 2. März 2022

Es gibt diese Momente, bei denen jedem Menschen klar wird, dass er oder sie ein Mensch ist und ihn oder sie nichts von anderen Menschen unterscheidet. Momente, in denen uns unsere Verletzlichkeit bewusstwird. Momente der Trauer, des Schmerzes und der Handlungsunfähigkeit. Momente, in denen klar wird, dass wir sterblich sind und sterben können. Momente, in denen dem Menschen auffällt, dass er oder sie doch nicht so groß und mächtig ist, wie er oder sie dachte. Momente, in denen der Mensch die Anderen braucht, um nicht allein dazustehen in katastrophalen Zeiten. Momente, in denen der Mensch plötzlich die Solidarität für sich erkennt und merkt, dass es besser ist, nicht hilflos und ohne Unterstützung zu sein. Momente, in denen das Leben die Bedeutung erhält, die es eigentlich überall und zu jeder Zeit erhalten sollte.


Momente der Fragilität.


Solch ein Moment ist für viele Menschen genau jetzt, denn es kann jederzeit Krieg über ihre Welt kommen. Nicht irgendeine Welt, die tausende Kilometer entfernt ist und wo die Menschen anders aussehen, sondern direkt vor ihrer Haustür der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Staaten, in denen die Mehrheitsgesellschaft den Konsumrausch übte und kleinere Bevölkerungsanteile versuchten auf sich aufmerksam zu machen und ihnen niemand Aufmerksamkeit schenkte. Staaten, die sich zumindest definitorisch als demokratisch, weltoffen und tolerant verstehen.


Krieg ist in diesem Moment für Politiker:innen und die vielen Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft kein Politikum mehr, über das am Verhandlungstisch debattiert oder im Alkoholrausch mal gesprochen wird. Nichts Abstraktes, dass in Kunst und Philosophie verarbeitet wird. Nichts Nützliches, um eigene Interessen durchzusetzen. Krieg ist hier, obwohl er nie weg war, denn wo werden Rüstungsgüter hergestellt?

Krieg ist etwas praxisorientiertes, denn in der Theorie findet Krieg nicht statt. Es sterben beim hypothetischen Krieg, der sehr weit weg ist oder irgendwann mal stattfand, keine Menschen, die es wert wären Beachtung und Anerkennung zu erhalten. In den letzten Jahren wurde über die hypothetischen Kriege gerne gesprochen, weil sie keine Konsequenzen nach sich zogen und sie schlicht und einfach von zu niedrigem Interesse waren.


Gegenwärtig lebt die Mehrheitsgesellschaft in hypothetischem Angst und Schrecken, denn ein wahnsinniger und liebloser Mann sitzt in einem weit entfernten Land im Osten und könnte jederzeit einen Knopf drücken, mit dem er die Leben tausender Menschen auslöschen könnte. Wobei es doch auch den Anschein hat, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung einfach dem bisherigen Leben nachgehen kann ohne Sorge zu haben. Eine verblüffende Parallele zu allen bisherigen Kriegen unserer Zeit (Georgien, Irak, Armenien, Kurdistan, Syrien, Libyen, Israel usw.).

Das ist kein „Whataboutism“, sondern die Realität. Dieser nicht unwesentliche Teil der Bevölkerung verfügt über ein riesiges Talent: das Ausblenden der Realität. Krieg war schließlich immer hier und Putin war schon immer ein Herrschender wie es die Herrschenden „des Westens“ ebenfalls sind. Die Qualität der Herrschaft und ihre Methodiken machen jedoch den Unterschied. Dieser Text kann geschrieben werden ohne Angst vor Repression. Allerhöchstens folgt Verachtung oder gesellschaftliche Ächtung, aber immerhin lebt man dann noch.


Wenn die Bomben fallen, schützt nichts mehr. Nicht einmal das Ausblenden der Realität. Wobei es doch einiges gibt, dass vor dem Tod durch Bomben schützt: Geld, gute Kontakte in Regierungskreise, der richtige Wohnort, die Herkunft und das richtige Amt. Der Krieg trifft alle Menschen unterschiedlich hart, denn nicht alle haben die gleichen Chancen und Möglichkeiten. Das Leben eines kleineren Teils der Bevölkerung ist in der Praxis einfach mehr wert, als das der Mehrheit. In der Theorie ist jedes gleich viel wert.


Im Generellen unterliegt die bundesdeutsche Debattenkultur einem großen Missverständnis, mit dem aufgeräumt werden muss. Lange Zeit ging die Gesellschaft davon aus, dass das Sterben etwas sei, das es zu verhindern gelte. Sterben, so heißt es heute noch immer, ist ein trauriger und zu vermeidender Akt, der für Trauer und Furcht sorgt. Sterben tun Angehörige, die Liebsten und besondere Menschen, die jede:r geliebt hat. Der Tod all dieser Menschen hinterlässt dabei Schmerz in den Hinterbliebenen (subjektiv) und Lücken in sozialen Netzwerken (objektiv). Dies, so wird behauptet, gelte es zu verhindern oder zu verzögern, wenn es schon nicht aufhaltbar ist.


Der Tod ist jedoch nichts, was verhindert wird, wurde oder werden kann. Weder durch den Staat, der historisch und gegenwärtig selbst Täter ist, noch durch Individuen, die es sich auf ihre Fahnen geschrieben haben, das Sterben auf der Welt aufgrund ihres moralischen Kompass zu beenden. Ganz im Gegenteil: der Tod ist omnipräsent und die Risiken, die dem Prozess des Sterbens Vorschub leisten sind es ebenfalls. Nur um ein paar Beispiele zu nennen: Klimakatastrophe, Genozide, Krieg, Hunger, Überernährung, Flucht, Substanzkonsum, die Teilnahme am Straßenverkehr, Mord und Totschlag und psychische/physische Krankheiten.


Der subjektive Schmerz von Menschen über den Verlust eines Mitmenschen oder etwas, was dem nahekommt, ist in die Identitäten der Menschen eingeschrieben. Manchmal geht dieser Schmerz so weit, dass Menschen über imaginäre Persönlichkeiten trauern, wie es in Kreisen der Science-Fiction und Fantasy Klientel weit verbreitet ist. Stirbt dort beispielsweise eine der Lieblingscharaktere in einem Buch oder einer Serie, so trauern weltweit Fans und Anhänger:innen. Auch in der Popkultur gibt es diese Tendenzen, wenn beispielsweise der Lieblingsmusiker oder die Lieblingsschauspielerin verstirbt.


Vorweg: dies ist kein subjektiver Text über Gefühle der Trauer und des Verlustes. Sterben und Tod werden gemeinhin als subjektive Schicksale wahrgenommen, die zumeist negativ wahrgenommene Gefühle wie Trauer verursachen. Dies wird in der Gesellschaft anerkannt und Menschen, die Mitmenschen verlieren, haben den Trost der Gemeinschaft verdient. Dieser moralische Kodex ist etwas Gutes. Doch wenn es um Leben und Tod geht, geht es um mehr als um subjektive Gefühle: es geht um die Existenz des Menschen und die objektive Bedeutung der Begriffe.


Der Tod und das Sterben sind, neben der Geburt , die zentralen Ereignisse des Lebens eines Menschen. Objektiv betrachtet gibt es klare Gründe (Unfälle, Hunger, Mord, Krieg, Arbeit, Armut usw.) für den Tod, der sich ganz nebenbei nicht verhindern lässt. Der Tod ist das Ende des Lebens. Dabei handelt es sich um eine biologische Faktizität, die nur von superreichen Menschen wie Elon Musk (Tesla-Gründer und scheinheiliger Idiot) und Peter Thiel (PayPal-Gründer und Vampir) in Zweifel gezogen werden, die aus egoistischen Motiven versuchen den Tod aufzuhalten. Ihr Scheitern bestätigt die benannte Faktizität. Dass der Tod das Ende des Lebens ist, wird auch von allen größeren und noch existierenden Glaubensgemeinschaften anerkannt. So heißt es bei allen größeren monotheistischen Religionen, dass nach dem Leben auf Erden das Leben im Paradies folgt. Bei den einen liegt das Paradies weiterhin auf Erden (Alevit:innen) und bei den anderen im Himmel (Andrea Berg).


Dass der Tod nicht aufzuhalten ist und es objektive Gründe dafür gibt, bedeutet nicht, dass der Tod relativ oder normal sei. Diese Logik würde dazu führen, dass dem Mord von Menschen oder sogar der Vernichtung von ganzen Menschengruppen Vorschub geleistet würde. Um dies klar und deutlich zu sagen: nur weil Menschen aufgrund von Krieg, Klimakatastrophe, Armut, Hautfarbe, Haarfarbe oder aufgrund ihres Geschlechts früher sterben, heißt dies nicht, dass sie früher sterben müssen. Es ist wichtig, trotz der Objektivität einen Zugang zu den eigenen Gefühlen zu haben und den Tod als besonderes und ungewöhnliches Ereignis anzuerkennen. Man stirbt schließlich nicht jeden Tag und im Anschluss daran geht das Leben nicht weiter wie bisher. Grund genug im Falle eines Verlusts geschockt und traurig zu sein. Ergänzend dazu muss erwähnt werden, dass der natürliche Tod eines Menschen niemals die Rechtfertigung eines unnatürlich herbeigeführten Todes sein kann.


Unabhängig von der Diskussion zwischen subjektivem und objektivem Tod, gibt es noch die soziale und politische Ebene des Lebens und Todes. Wie eingangs bereits erwähnt steht die Frage von Leben und Tod im Mittelpunkt unseres gegenwärtigen Denkens, denn um nichts anderes geht es im Falle von Krieg, Klimakatastrophe und Armut.


Die Grundlagen des Grundgesetzes (GG) die Würde des Menschen (Art.1 GG), Frieden (Art. 1 Abs. 2 und Art. 26 GG), Freiheit (Art. 2 GG) und Solidarität (Art. 20 Abs. 1 GG) stehen nicht erst seit der Covid-19 Pandemie unter Beschuss, sondern waren immer Gegenstand von Diskussionen und Verhandlungen. Besonders der Schwerpunkt Frieden gerät aktuell in Bedrängnis, wenn über Waffenlieferungen und eventuellen Notwendigkeiten im Kampf gegen Russland gesprochen wird.


Es wurde bereits festgestellt: der Tod ist das Ende des Lebens wie wir es kennenlernen durften. Mit diesem klaren Ende des Lebens weist der Tod auf ein Grundproblem der gegenwärtigen Denkungsart und Art zu leben hin: wie soll einer Spezies bewusstwerden, dass Phänomene und Dinge die Zeit überdauern, wenn jedes Individuum dieser Spezies nur zeitlich begrenzt existiert?


Dazu das Beispiel der Beziehung zwischen den sogenannten „Corona-Leugnern“, die nachfolgend als die Leugnenden bezeichnet werden, und dem Covid-19 Virus selbst, welches das Virus genannt wird: die Leugnenden werden auf der Welt nur noch für eine kurze Weile sein, denn auch sie werden sterben. Das Virus wird jedoch, dank der Leugnenden, für immer auf dieser Erde existieren, auch wenn der Mensch schon längst ausgestorben ist.


Das Aussterben der Menschheit ist möglich und gar nicht mehr so lange hin, wenn wir so weitermachen, aber das ist ein anderes Thema (Existenzielle Krise unseres Menschseins).

Die Leugnenden lehnen dieses Überdauern des Virus über den Menschen (für Leugner:innen einfach nur „Ich“) konsequent, vehement und radikal ab. Diese Ablehnung bedeutet nicht, dass das Virus abgelehnt wird, sondern die Realität. Die Leugnenden verweigern sich der Realität. Sie haben Angst. Deshalb möchten Sie, dass das Leben einfach ganz normal wie vorher weitergehen soll.


Hinter dem Leugnen steckt ein tiefsitzender Machtkomplex und urmenschlich manifestierte Selbstzweifel: die Leugnenden fragen sich wie es sein kann, dass etwas mit den Sinnen nicht Wahrnehmbares und so fürchterlich Kleines wie ein Virus, so viel größer sein kann wie die Leugnenden selbst.


Während die Leugnenden versuchen die Realität umzudeuten und sich der wirklichen Realität entziehen und dann auch noch die Wahrheit für sich in Anspruch nehmen und ganz nebenbei auch noch die Freiheit, sterben weiterhin ca. 170 Menschen am Tag mit oder am Virus. Das sind 7,1 Menschen pro Stunde.


Das Leben ist endlich und das Virus, zeigt es uns jeden Tag.

Diese Realität zu leugnen ist unmöglich.

In gewisser Weise akzeptieren auch die Leugnenden diese Realität, wenn sie behaupten, dass das Sterben ganz normal sei.


Menschen sterben, das weiß jedes Kind ab dem Moment wo Oma und Opa in den Himmel gehen und nicht mehr hier sind.

Aber Menschen müssen nicht sterben, wenn sie nicht wollen. Das ist doch die Erkenntnis unserer Zeit gewesen. Oder etwa nicht?


Nicht ganz, denn das Sterben wurde schon immer toleriert. Es war und ist in gewisser Weise von Nutzen, besonders weil so die eigene Position gestärkt werden kann. Wenn die Werte der eigenen Welt (Solidarität, Frieden, Freiheit und Würde des Menschen) an anderen Orten der Welt mit Füßen getreten werden, so ergeben sich daraus: Wut, Angst und Überforderung. Im Anschluss daran wird sich an die eigenen Werte geklammert wie an das Lenkrad des Autos, obwohl doch längst klar ist, dass die Welt außerhalb des Automobils vor die Hunde geht. Oder wie kann es sonst sein, dass es auf dem Planeten Erden im Jahr 2021, mit all den friedlichen Nationen, noch 29 Kriege gibt?


Das, was wir aktuell erleben, gleicht einem Anpassungsprozess an das Sterben selbst, denn das Sterben werde weitergehen, ob wir wollen oder nicht. Dies wird Land auf, Land ab behauptet. Die Leugnenden (geleugnet werden können Viren, Kriege, die Realität und einfach alles andere auf der Welt) behaupten gerne, dass es keine Pflicht zum Leben gibt und der Staat uns nicht dazu verpflichten könnte unsere Leben zwangsweise frei von Krankheit, Krieg und Mord zu leben. Das stimmt: der Tod kann immer und überall über das Individuum kommen. Dies bedeutet aber nicht, dass man das Sterben automatisch und wie selbstverständlich zulassen muss.


Auf dem Planeten Erde gibt es viele Auseinandersetzungen, Konflikte, Spaltungen, Kriege und eine Katastrophe nach der anderen. Die Welt ist in Bewegung und es gehört auf eine nicht genau bestimmbare Art und Weise zur Natur der Welt dazu, dass es keine Ruhe gibt. All diese Dramen halten der Mehrheitsgesellschaft einen Spiegel vor und fragen: „Geht es mir wirklich und wahrhaftig noch gut?“ – und die Antwortet lautet zumeist: „Ja. Uns geht es gut.“. Deshalb kann die Mehrheitsgesellschaft noch das Leben führen wie früher. Auch jetzt noch, wenn wieder Krieg in Europa ist. Nach dem Balkan, nach Irland, nach dem spanischen Bürger:innenkrieg usw. Auch jetzt noch, obwohl wir wissen, dass die Welt untergehen wird wie wir sie kennen.


Natürlich wird es in den nächsten fünf Jahren keinen Weltfrieden geben und selbstverständlich geraten die Werte der UN-Charta in einen Konflikt mit neuen Vorstellungen auf dieser Welt. Mal marschiert da wer ein und mal dort und dann findet dort ein Genozid statt und China vergessen wir auch mal wieder ganz schnell. „Der Westen“ kann nicht überall intervenieren und die eigenen Werte hochhalten. Es gibt keine Herrschaft „des Westens“ über die Welt.


Aber die Lösung kann nicht sein keine Verantwortung für den Weltfrieden, Umweltschutz, Gesundheit und Gleichbehandlung zu übernehmen oder sich wenigstens für das universale Gute einzusetzen. Das universale Gute braucht Menschen, die sich dafür einsetzen und ja: es braucht auch Staaten, die sich auf der großen politischen Bühne dafür einsetzen. Die Welt wird schließlich nicht von selbst besser und eine Kapitulation vor dem Tod kann nicht das Ende sein.


Für das Leben und gegen den Tod! Für den Frieden und gegen den Krieg! Immer und weltweit!


foto @priscilladupreez


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