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Straßenbahn des Lebens

Autorenbild: Derviş DündarDerviş Dündar

Aktualisiert: 4. Feb. 2022

Nachdem ich zwei Monate auf den Seychellen verbracht habe und dort einfach ich sein konnte, ist hier nun das großartige Comeback, welches ihr alle in purer Aufregung erwartet habt. Dieser Text handelt von nichts Wichtigem. Nur um das Leben und diesem einen Sinn geben zu müssen.

Angelehnt ist das Thema an den wunderbaren Titel "Straßenbahn des Todes" der Band "Element of Crime", welcher mich sehr lange begleitet hat und noch sehr lange begleiten wird (https://open.spotify.com/track/3Fu6aRJrvl5QwyjF3RlFkd?si=3699716ee6b94118).


Viel Spaß beim Lesen und Hören.

 

Im Laufe des Lebens werden alle Menschen mit Dingen konfrontiert, die uns aus der Bahn werfen. In dieser Bahn sitzen wir mit vielen anderen, die in die gleiche Richtung und das gleiche Ziel erreichen wollen. Wir denken dabei an nichts böses und genießen die Fahrt mit Menschen, die uns etwas bedeuten. Dann kommt plötzlich der Fahrkartenkontrolleur und möchte unseren Nachweis für unser Recht auf Mitfahrt sehen. In den meisten Fällen ist es so, dass wir keine Schwierigkeiten haben diesen zu erbringen, aber manchmal suchen wir länger nach der Mitfahrkarte. Sehr lange, sodass der Kontrolleur uns aus der Bahn nimmt und die Weiterfahrt ohne uns stattfindet. Es fühlt sich peinlich und unangenehm an, dass alle anderen ohne uns weiterfahren und uns aus den Fenstern beobachten. Sie denken sich ihren Teil und schauen von oben auf uns herab. Wir stehen dann erstmal an der Haltestelle und sortieren uns. Wurden wir wirklich und wahrhaftig aus der Bahn geworfen?


Der Kontrolleur schaut uns an, wirkt genervt und fordert uns auf, die Karte zu zeigen. Damit sind wir überfordert und stammeln vor uns hin.

Um uns herum sind Menschen, die in Eile sind und irgendwohin wollen, wo sie überhaupt nicht hinwollen, denn sonst wären sie nicht in Eile.

Kein Mensch ist freiwillig in Eile.

Kein Mensch wird gerne vom Kontrolleur kontrolliert. Jetzt stehen wir aber hier und die Straßenbahn fährt an uns vorbei. Wir wollten doch einfach nur weiterfahren in der Straßenbahn des Lebens.


Die Straßenbahn des Lebens ist ein Ort für alle, denn es handelt sich um einen öffentlichen Ort. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser Ort ein risikoarmer oder kostenloser Ort wäre. Ganz im Gegenteil: die Mitfahrt in der Straßenbahn des Lebens ist teuer und voller Risiken. An diesem Ort vergessen wir aber auch, dass es teuer und risikoreich ist. Und je länger die Mitfahrt wird, umso teurer wird der Preis den wir am Ende der Fahrt zu zahlen haben.


Der Kontrolleur konfrontiert uns nun mit Fragen, auf die wir keine Antworten haben. Es sind Fragen nach dem Sinn des Lebens.


Wir reagieren abwehrend, realitätsverweigernd und brechen in Panik aus. Wir machen dem Kontrolleur Vorwürfe und beklagen uns über die verpassten Anschlusszüge, denn kein Mensch möchte den Anschlusszug verpassen. So stehen wir am Gleis, gestikulieren zweifelnd vor uns hin und erkennen mit der Zeit, dass es nichts bringt sich aufzulehnen.


Warum haben wir diese verdammte Fahrkarte vergessen? Sie müsste doch irgendwo sein. Wir finden sie nur gerade nicht.

Mit der Fahrkarte verhält es sich ähnlich, wie mit dem Sinn des Lebens: von Natur aus wurde sie uns mitgegeben, im Alltag haben wir sie immer bei uns, nur vergessen tun wir sie manchmal. Verlieren können wir sie eigentlich nie. Denn wenn die Fahrkarte abhanden kommt, gelangt sie in die Hände eines anderen Fahrgast.


Dies ist eine Eigenart der Straßenbahn des Lebens: sie kennt nur Endpunkte, aber niemals ein Ende.

Am ersten Endpunkt steht der Tod: das Ende des einen Lebens läutet den Beginn eines anderen Lebens ein.

Am zweiten Endpunkt steht die Geburt: das Ende der Schwangerschaft ist der Beginn des Lebens.

So dreht die Straßenbahn des Lebens weiter ihre Runden. Mit oder ohne uns spielt dabei keinerlei Rolle.


Ich spreche die ganze Zeit von uns, obwohl es doch so ist, dass jeder für sich fährt. In der Straßenbahn des Lebens gibt es Mitfahrgelegenheiten, aber niemand räumt aus altruisitischen Gründen den Platz, um ihn Dir anzubieten.

Wir?

Ich hatte das große Glück dich am Gleis zu treffen und mit Dir über den Sinn des Lebens zu sprechen.

Du, die Philosophenkönigin und Ich, der Bauer.

Dem Kontrolleur gefiel dies überhaupt nicht, aber uns war das egal.


Am Ende des Tages, nach Stunden der Verständigung, hatten wir erkannt, dass jede Bahn der anderen gleicht und sich die Insassen in keinster Weise unterscheiden.

"Sie starren aus den Fenstern, warten auf den Endpunkt und die Aufforderung das Leben zu verlassen, ohne jemals gelebt zu haben."

Das ist Deine Botschaft an mich und nachdem Du sie mir mitteiltest und mir einen Wangenkuss gabst, hast Du mich mit dem Kontrolleur am Gleise stehengelassen und gingst Deiner Wege. Einfach so und ohne dich umzudrehen. Mir war nicht einmal bewusst, dass wir die Haltestelle verlassen können und meinem ersten Impuls folgte ich nicht, sodass ich weiterhin stillstand. Zu allem Überfluss begann es auch noch zu regnen.


"Und nun?", fragte mich der vor sich hinstarrende Kontrolleur. Er schien sich plötzlich in einer Identitätskrise wiederzufinden und suchte nach einem Leidensgenossen.


Ich starre ihn an und antworte lächelnd, dass ich lieber Fahrrad fahre.


Und so verließ ich die Haltestelle, ohne aus der Bahn geworfen zu werden.


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