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Was zur Hölle? - Gefangen in der eigenen Familie

Autorenbild: Derviş DündarDerviş Dündar
"Ich liebe mich, ihr liebt Euch, wir lieben uns alle, nur weil uns unsere Eltern zu wenig geliebt haben."

Spendet gerne an das Deutsche Kinderhilfswerk oder Plan e.V.

 

Web.de hat mein Weihnachten zerstört. Wer Web.de nicht kennen sollte, muss jetzt nicht auf Google gehen und www.web.de eingeben, sondern kann meine Beschreibung abwarten. Web.de ist kein Standard auf dem Gebiet Mailadressen für dumme Menschen, sondern überdurchschnittlich gut im informieren von sehr klugen Menschen, die an Weihnachten einen Rückzugsraum benötigen, weil Ihre Verwandtschaft durchdreht und über den Nahostkonflikt debattiert, wobei debattiert ein zu beschönigendes Verb ist.

Verben sind Tu-Wörter, die dir nichts tun. Falls du das noch nicht wusstest.


Ich bin also auf web.de gegangen, weil ein Spaziergang keine Option war und musste mit Erschrecken feststellen, dass Karl Lauterbach Dubai-Schokolade (was ist das?) gegessen hat und ein öffentliches Feedback dazu abgelassen hat, anstatt mal ernsthafte Politik zu betreiben.


Weitere Nachricht, die mich dank web.de erreicht hat: eine Mutter hat ihre Zwei Kinder an Heiligabend ermordet. In Rosenheim. Was zur Hölle. Und ich dachte, dass es sich dabei um den sichersten Ort Deutschlands handelt, weil die Rosenheim-Cops für Sicherheit, Ruhe und Ordnung sorgen. Scheint wohl doch nicht so zu sein. Aber wie soll die Polizei etwas tun (würde an dieser Stelle die Formulierung "etwas Verben" Sinn machen?), wenn die Straftat in den eigenen vier Wänden geschieht? Hätte die Tat verhindert werden können?


Wisst ihr was? Ich hätte ein schönes Weihnachten gehabt, wenn da nicht web.de wäre, die scheinbar nichts Besseres zu verben haben, als schlechte Nachrichten zu verbreiten. Und ich finde es, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, überhaupt nicht lustig. Wie sollte man zwei tote Kinder auch lustig finden?


Nun gut, wir haben alle Weihnachten und unsere Familien überstanden und müssen uns das nächste ganze Jahr nicht mit den Befindlichkeiten unserer Verwandten mehr befassen und somit muss ich auch nicht mehr auf web.de – die Seite des Grauens (niemals gute Nachrichten!).


Ein Glück für uns alle, denn stellen wir uns nur diesen einen Moment vor, dass wir ständig in der Nähe unserer Eltern, Geschwister, Cousins und Cousinen seien. Ja, ich weiß, dass es Menschen gibt, die das tun und ja, ich weiß, dass das eine ganz bewusste Entscheidung dieser Menschen ist, aber wenn ihr an meiner Meinung schon interessiert seid, so will ich mich mit meiner Meinung nicht zurückhalten: diese Menschen haben Probleme, die keine*r von uns haben will.

Wie kann man sich dem Diktat der eigenen Eltern unterwerfen?

Wie kann man sich durchgehend mit den eigenen Geschwistern beschäftigen, die ganz anders sind als man selbst?

Wie kann man den eigenen Horizont so weit einschränken, dass man nur sich selbst sieht?


Manche würden mir nun entgegenhalten, dass es doch gerade unsere Familien sind, die uns für das Leben geprägt haben. Unsere Eltern, die sich ihr ganzes Leben um uns gekümmert haben.

Unsere Geschwister, die uns in schwierigen Momenten den Rücken gestärkt haben.


Meiner Ansicht nach, stellt sich das Ganze aber etwas anders dar: erstens handelt es sich bei der familiären Prägung um eine Zwangsprägung und keineswegs um eine freiwillige, wie ein gutes Buch oder eine Musikrichtung, die uns unser gesamtes Leben begleitet.

Familie bedeutet, dass sich ein Mensch in einem sozial-biologischen Gefängnis befindet und aus dem es sich zu befreien gilt.

Wenn ich mir die Menschen anschaue, denen ich täglich begegne, so muss ich feststellen, dass sich der Großteil dafür entscheidet den einfachen Lebensweg zu gehen und die Machenschaften der eigenen Eltern eins zu eins auf das eigene Leben zu übertragen.

Zweitens möchte ich erwidern, dass sich in den allermeisten Fällen nicht unsere Eltern um uns gekümmert haben, sondern unsere Mütter.

Für viele Männer bedeutet Vaterschaft der Hauptverdiener zu sein und sich über die Belastungen jedweder Art zu beklagen. Und selbst, dass ich diesen Text hier schreibe, führt dazu, dass sich Männer in ihrem Mannsein angegriffen fühlen und sich beklagen werden. Männer sagen dann, dass es kein Privileg sei arbeiten zu gehen, dass es eine Pflicht sei und Frauen erstmal arbeiten gehen sollen, bevor sie sich beklagen. Was zur Hölle? Es gibt Männer im Internet, die Videos erstellen, die Männern und im Besonderen jungen Männern suggerieren, dass es eine Glanzleistung sei, sich bis in den Tod kaputtzuarbeiten. Dramatische Musik im Hintergrund. Wenn die sich mal vor Augen führen würden, was wirklich und wahrhaftig wichtig und wertvoll im Leben ist, dann würden die in sich zusammenbrechen. Aber dafür sind die meisten Männer zu dumm. Glück gehabt.

Und zu unseren Geschwistern möchte ich einfach nur sagen, dass sich bei der Gründung der eigenen Familie alles in Luft auflöst. Natürlich bleiben Geschwister für immer und ewig Geschwister, aber die Gemeinsamkeiten werden weniger, die Unterschiede deutlicher und die Lebensentwicklungen differenzieren sich auseinander.

Nun könnte man, nach der Lektüre des bisherigen Textes, zu dem Ergebnis gelangen, dass die Familie abgeschafft gehört und es keine Liebe auf der Welt gibt. Aber ich wäre nicht der Postmigrant, wenn es zum Ende keine lyrische Wendung gäbe. Widersprüchliche Vieldeutigkeiten sind mein täglich Brot.


Ich selbst bin Vater geworden und gebe mein Bestes, um bei der Erziehung meines Kindes nicht als Mann durchzugehen. Ich habe eine Familie aus der Perspektive der Eltern und bin nicht mehr nur Kind von Mutter und Vater.

Dies hat mich in den letzten Jahren in einen Konflikt gebracht: ich empfand plötzlich Sympathie für meine eigenen Eltern. Meine lebenslange Pubertät fand zu der Geburt meines eigenen Kindes ein abruptes Ende und ich verstand, dass sich der Mensch nur durch die Geburt eines eigenen Kindes von der eigenen Familie befreien könne.

Es ist ein existenzieller Moment, der das ganze eigene Leben auf den Kopf stellt. Kein Wunder, dass die ganzen Weltreligionen so ein Drama aus der ganzen Geschichte machen.


Versteht mich bitte nicht falsch: Es stimmt auch weiterhin, dass Familien Zwangskontexte sind, aber wenn man ein neues Leben in den Händen hält, realisiert man mit der Zeit, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Kinder und somit auch wir alle, sind Produkte unserer Umwelt. Deshalb ist es auch so schockierend und traurig, wenn Eltern ihre Kinder töten - so wie in Rosenheim an Heiligabend geschehen.


Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage was ein neues Leben tun kann, um nicht abhängig zu werden von den eigenen Eltern? Eigentlich ist das die falsche Frage, weil Kinder von der Geburt an nichts für ihr eigenes Verhalten können. Die Frage lautet also: was müssen Eltern tun, damit das Kind die Möglichkeit hat, sich von der Abhängigkeit zu lösen und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln? Das Problem ist, dass viele Eltern ihre Macht über das eigene Kind missbrauchen, weil sie ihre eigene Beziehung zu den eigenen Eltern nie reflektiert haben und sich denken, dass Eltern alles mit ihren Kindern machen dürfen, weil es ihnen nicht geschadet hat und ihre Eltern auch gemacht haben, was sie wollten.


Schade eigentlich, aber eigentlich habe ich auch Besseres zu tun, als einen Text zu schreiben, der Eltern hilft an ihrer Beziehung zu ihrem eigenen Kind zu arbeiten. Beispielsweise Texte auf web.de lesen, die vom wahren Leben handeln.


Seid nett zu Euren Kindern, denn sie wissen nicht was sie tun.

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